Beniamino Gigli,
einer der leuchtendsten Namen in der Reihe der großen Operninterpreten des 20. Jahrhunderts, über Jahrzehnte hinweg ein Nationalidol, und dies nicht nur für Opernbegeisterte, einer der volkstümlichsten Sänger der Geschichte, der erste Star, dessen Karriere fast lückenlos durch Tondokumente belegt ist, eine Karriere von über vierzig Jahren Dauer!
Einige Facetten des Phänomens Beniamino Gigli, das in mancherlei Hinsicht bis heute ohne Parallele geblieben ist. Beniamino Gigli war, ohne ein Schönling zu sein, der erste Sängerfilmstar der Geschichte und als solcher äußerst erfolgreich. Er war ein bescheidener, gläubiger Mensch, der sich andererseits in den dreißiger und vierziger Jahren zum Faschismus bekannte (der Tenor des Regimes) und trotzdem nach Zusammenbruch der Mussoliniherrschaft, bereits als Mittfünfziger, seine Karriere ungehindert fortsetzen konnte (anders als etwa der um sieben Jahre jüngere Helge Rosvaenge in Deutschland!). Ein Mann, der nie geleugnet hat, dass er aus einfachsten Verhältnissen kam, der aber vielleicht gerade deshalb Popularität und Reichtum zu genießen wusste: das Sommerhaus in Recanati, die Villa in Rom.
Gigli war persönlicher Freund großer Komponisten: Francesco Cilea, Pietro Mascagni, Umberto Giordano und Partner der größten Sänger, Sängerinnen und Dirigenten seiner Zeit. Ein einfacher Mann, und dennoch ein Künstler mit einem gesunden Maß an Selbstbewusstsein. Man denkt an das Zerwürfnis mit der Metropolitan Opera im Jahre 1932 aufgrund der geplanten Gagenkürzungen oder an die übliche Antwort des Sängers auf die in den zwanziger und dreißiger Jahren oft gehörte Bemerkung, er sei der zweite Caruso. Gigli pflegte darauf zu erwidern: Das bin ich nicht, ich bin der erste Gigli!
Ein Tenor, der in der Jugend die Geduld für eine behutsame, gediegene Ausbildung hatte, der nie über die Grenzen seines Stimmfaches hinausgegangen ist, der auch nach Überschreiten des Zeniths immer noch die Kontrolle durch einen Stimmbildner suchte. Fakten, die vor allem jungen Sängern zu denken geben sollten, gerade in einer Zeit, da die Karrieren so kurz geworden sind! Alle diese Punkte sind Steinchen eines Mosaiks, die zusammengefügt ein faszinierendes Bild ergeben. Romane und Biografien sind über den Sänger aus den Marken geschrieben worden, zum Teil geschichtlich exakt, zum Teil von der Phantasie beflügelt und ausgeschmückt. Seine Filme sind erhalten und werden auch heute noch dann und wann gespielt, nicht nur in Italien.
Erhalten ist auch die Sammlung seiner Bühnenkostüme (er trug, entgegen der allgemeinen Geflogenheit, in vielen Aufführungen seine eigenen). Und es gibt eine ganze Fülle von Film und Tonmaterial, entstanden in den Studios von EMI, Columbia, Odeon, Fonotipia, in italienischen, deutschen, österreichischen und englischen Filmstudios von 1918 bis 1955. All diese im Studio entstandenen Aufnahmen vermitteln aber nur ein Bild einer Seite und sind nicht mehr als bestenfalls die Dokumentation eines Nebenprodukts der Bühnenkarriere Giglis. Die Technik der Liveaufnahme steckte freilich vor Jahrzehnten noch in den Kinderschuhen. Und dennoch gibt es sie: Aufnahmen, die unter heute unvorstellbaren Umständen entstanden sind, Ausschnitte von Aufführungen, vom Souffleurkasten aus gemacht, Raritäten aus Privatkollektionen, Filmdokumente, der Vater mit seiner Tochter gemeinsam auf der Opernbühne, sein letzter Opernauftritt, das letzte öffentliche Konzert, heimlich festgehalten.
Unsere Dokumentation enthält viele solcher Raritäten, Kuriositäten usw., die man im Handel vergeblich suchen wird, viele dieser Aufnahmen wurden bislang im deutschen Sprachgebiet nicht veröffentlicht. Es sind meist technisch mangelhafte Aufnahmen, aber dieser Aspekt stand bei der Erstellung des Materials nicht im Vordergrund. Entsprechend dem Ziel, ein vollständiges und ungeschminktes Bild der überragenden Sängerpersönlichkeit zu vermitteln, war für die Auswahl der Aufnahmen in erster Linie der musikhistorische Wert entscheidend. Der Freund der Stimme des legendären Tenors wird diese Überlegung verstehen.
Rudolf Wallner